Vom Kriegsende zum Friedensversprechen - Der 8. Mai mahnt nicht nur zur Erinnerung, sondern auch zur Erneuerung

Martin von Broock zeigt in seinem Artikel, warum unsere freiheitliche Demokratie gerade heute aktive Erzählungen und gemeinsamen Einsatz braucht.

Vom Kriegsende zum Friedensversprechen - Der 8. Mai mahnt nicht nur zur Erinnerung, sondern auch zur Erneuerung
Dr. Martin von Broock | Vorsitzender des Vorstands

Am 8. Mai 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Für viele markiert dieses Datum eine tiefe Zäsur – die Befreiung vom Nationalsozialismus, das Verstummen der Waffen, das Aufatmen eines verwundeten Kontinents.

Das Kriegsende war aber nicht automatisch ein Neubeginn. Frieden, Demokratie, und die Europäische Gemeinschaft entstanden nicht von selbst. Die größte Hürde: Sie erforderten die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen ehemaligen Feinden. Wer hätte vor 80 Jahren gedacht, dass Frankreich und Deutschland einst zum Motor eines geeinten Europas werden?

Die Annäherung von Feinden zu Freunden verlangte allerdings mehr als Verträge und diplomatisches Kalkül. Es brauchte gemeinsame Erzählungen, um die Vergangenheit zu bewältigen und eine neue Zukunft zu denken.

Aus neuen Erzählungen entstanden neue Ordnungen

Was wir heute in Deutschland und Europa für selbstverständlich halten – freiheitliche Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, internationale Zusammenarbeit – ist das Ergebnis kollektiver Verständigungen darüber, wer wir sein wollen und wie wir zusammenleben wollen. Der Historiker Yuval Harari spricht von geteilten Mythologien oder Erzählungen, die über menschlichen Fortschritt entscheiden. Die universellen Menschenrechte als kulturübergreifende Wertebasis, die Vereinten Nationen als Ort der Verständigung und die Idee von Europa als Friedensprojekt entstanden als gemeinsame Erzählungen nach dem zweiten Weltkrieg. Sie waren weltweit richtungsweisend für viele Regeln und Institutionen. So auch für das deutsche Grundgesetz, dass auf den Ideen der Menschenwürde und einem vereinten Europa aufbaut.

Heute geraten unsere Erzählungen ins Kreuzfeuer

80 Jahre später geraten diese Erzählungen unter Druck. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, das Wiedererstarken autoritärer Bewegungen und die Erosion multilateraler Zusammenarbeit zeigen: Regeln allein halten unsere Welt nicht zusammen. Und die Beispiele vergangener Demokratien – allen voran die Weimarer Republik – lehren: Erst wird die gemeinsame Erzählung zerstört. Dann folgen die Regeln.

Heute erleben wir immer häufiger gezielte Angriffe auf die Narrative der freiheitlichen Ordnung: Menschenrechte (und Landesgrenzen) gelten plötzlich wieder als „verhandelbar“. Rechtstaatliche Ordnungen werden als „bürokratisches Monster“ diffamiert. Demokratische Kompromisse werden als „Niederlage“ oder „Verrat“ diskreditiert. Politische Gegner werden zu Feinden erklärt. Und legitime Wahlergebnisse von den Unterlegenen als „Manipulation“ zurückgewiesen. Damit werden jene Voraussetzungen geschliffen, die keine Verfassung aus sich selbst heraus garantieren kann.

Erinnerung als Mahnung zur Erneuerung

„Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg“ (Willy Brandt). Frieden ist das Ergebnis einer gemeinsamen getragenen Vorstellung davon, was uns verbindet. Der 8. Mai muss deshalb mehr als ein Erinnerungsritual sein. Er sollte Anlass sein, die Frage zu stellen: Was hält uns in Deutschland, Europa und der Welt heute zusammen? Welche Geschichten erzählen wir uns über unsere Zukunft? Und welche Haltungen sollen uns dabei leiten: Zusammenarbeit oder Abschottung? Wettbewerb oder Feindschaft? Menschenrechte oder das Recht der Stärkeren?

Wenn wir heute, 80 Jahre nach dem größten Krieg in der Menschheitsgeschichte mit über 60 Mio. Opfern den Frieden verteidigen wollen, müssen wir bei diesen Fragen entschieden Position beziehen - und auch künftig zusammenhalten.