Martin von Broock, Philipp Schreck, Andreas Suchanek

Rassismus, Nationalismus, Verschwörungsmythen: Wenn es um heikle gesellschaftliche Themen geht, scheuen Unternehmensvertreter*innen meist eine klare Positionierung. Indes fordern verschiedene Stimmen außerhalb und auch innerhalb der Wirtschaft mehr unternehmerisches Engagement in gesellschaftlichen Debatten. Wir haben dazu eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben und das Thema Verschwörungsmythen in den Blick genommen. Aus den Ergebnissen leiten wir drei Empfehlungen für Unternehmen ab.

Unternehmen sehen sich einem wachsenden Druck ausgesetzt, in gesellschaftlichen Debatten Position zu beziehen. Vor allem seit der Migrationskrise im Jahr 2015 gibt es verschiedene Beispiele für so genannten „Corporate Activism“: Siemens-CEO Joe Kaeser hat offensiv gegen die AFD Stellung bezogen, Daimler-Chef Ola Kaellenius hat sich gegen Fremdenfeindlichkeit positioniert und vor der letzten Europawahl haben 50 Familienunternehmer mit der Initiative „Made by Vielfalt“ ein klares Signal gesetzt. Diese wie auch viele andere Beispiele fanden indes nicht nur positiven Rückhall. Teilweise wurden sie auch kontrovers diskutiert.

Mit Blick auf die Corona-Pandemie sind wir deshalb der Frage nachgegangen, welche Erwartungen die Bürger*innen an unternehmerische Diskursverantwortung richten. Dazu haben wir eine repräsentative Umfrage beim Meinungsforschungsinstitut Civey in Auftrag gegeben.

Im Grundsatz Zustimmung, im Konkreten gespalten

Prinzipiell begrüßt hierzulande eine Mehrheit der Befragten unternehmerisches Engagement im Diskurs: Auf die Frage, in welchem Ausmaß sich Wirtschaftsvertreter*innen an den gesellschaftlichen Debatten in der Corona-Pandemie beteiligen sollten, äußern 42% den Wunsch nach mehr Engagement; 34% sind mit dem bisherigen Engagement zufrieden. Nur 24% wünschen sich weniger Engagement. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit internationalen Umfragen wie dem Edelman Trust Barometer 2020. Auch dort hatte sich eine Mehrheit für die unternehmerische Beteiligung an gesellschaftlichen Debatten ausgesprochen.

Bei konkreten Themen gehen die Meinungen dann allerdings auseinander. Mit Blick auf die derzeitige Debatte haben wir das vieldiskutierte und heikle Thema „Verschwörungsmythen im Zuge der Corona-Pandemie“ herausgegriffen und gefragt: Wie sollten Unternehmen mit diesem Thema umgehen? Im Ergebnis sprechen sich 48% gegen die unternehmerische Beteiligung an öffentlichen Diskussionen aus; 38% votieren dafür und 9% wünschen sich eine firmeninterne Thematisierung. Die Präferenzen sind hier also gespalten.


zm Vergrößern anklicken

Haltung oder Zurückhaltung – wo liegt das größere Risiko?

Aus wirtschaftsethischer Perspektive gibt es einige Argumente, die prinzipiell für eine unternehmerische Zurückhaltung in gesellschaftlichen Debatten sprechen: Unternehmen organisieren Wertschöpfung im gesellschaftlichen Auftrag. Diese Wertschöpfung erfordert vielfältige Kooperationen – mit der eigenen Belegschaft, mit Kunden, Investoren, Lieferanten und auch (mitunter politisch beeinflussten) Verwaltungseinrichtungen. Im Interesse ihrer Existenz müssen Unternehmen jene Kooperationen erhalten und absichern, mithin konfligierende Loyalitäten managen. Mit jeder Positionierung außerhalb des Kerngeschäfts können sie jene Loyalitäten, gewollt oder ungewollt, beschädigen – und damit ihre Erfolgsaussichten im Wettbewerb gefährden. Beispielsweise könnte eine fachlich reibungslos funktionierende Zusammenarbeit in einem arbeitsteiligen Team plötzlich unter Druck geraten, wenn ein Unternehmensstandpunkt die Beschäftigten zur persönlichen Stellungnahme drängt und in der Folge Konflikte entstehen.

Nach außen könnten Unternehmen einem Thema wie den „Verschwörungsmythen“ sogar ungewollt zu einer neuen Dynamik verhelfen, wenn sie sich klar positionieren. Zudem können nachteilige Lock-In-Effekte entstehen; wenn etwa Unternehmen für nachfolgende Diskurse knappe Kommunikationsressourcen aufwenden müssen. Und schließlich stellt sich die Frage, mit welchem Mandat sich Unternehmen überhaupt in öffentliche Diskussionen einmischen sollten. Zugespitzt formuliert: Gesellschaftspolitische Positionen bringen Unternehmen manche (Geschäfts-)Risiken, mitunter aber keine kurzfristig erkennbaren Vorteile.

Es gibt aus wirtschaftsethischer Perspektive aber auch Argumente, die für eine explizite unternehmerische Haltung bei gesellschaftspolitischen Themen im Allgemeinen und „Verschwörungsmythen“ im Besonderen sprechen: Unternehmen sind immer auch selbst Orte gesellschaftspolitischer Debatten. An der Werkbank, in der Kantine, an der Kaffeemaschine oder in digitalen Communities – heikle gesellschaftliche Themen werden in das Unternehmen hinein- und dort ausgetragen. Der Betriebsfrieden kann also auch durch Positionen in der Belegschaft unter Druck geraten. Zum Beispiel, wenn Beschäftige stetig Verschwörungsmythen im Unternehmen verbreiten und daran ihre Kritik an unternehmerischen Präventionsmaßnahmen festmachen. Abgesehen von möglichen Rechtsmitteln müssen Unternehmen hier abwägen: Welchen Raum erlauben sie solchen Diskussionen, welche Deutungen lassen sie zu? Welche Unterstützung erfahren jene, die sich von Verschwörungsmythen im Unternehmen bedrängt fühlen? Und welche Folgen können sich daraus für die Wertschöpfung ergeben?

Auch für eine öffentliche Positionierung von Unternehmen gibt es Gründe: Unternehmen sind auf ein gemeinsames Spielfeld angewiesen. Wenn gesellschaftliche Debatten dieses gemeinsame Spielfeld beschädigen, ist jedes einzelne Unternehmen mindestens mittelbar betroffen. Tatsächlich ist „die“ Wirtschaft in vielen Fällen Objekt der Verschwörungserzählungen – oft als „manipulierende Macht“ im Hintergrund sowie als „Nutznießer“ von Krisen. Die Effekte solcher Falschinformationen für die Volkswirtschaften sind erheblich. Forscher der Universität in Baltimore kommen auf globale Kosten von 78 Milliarden Euro im Jahr, die über Auswirkungen auf Börsenkurse wie auch durch Reputationsverluste entstehen. Im Hinblick auf die Frage des unternehmerischen Mandates zur Positionierung lässt sich auf die politische Debatte zu Wirtschaft und Menschenrechten wie auch zur Nachhaltigkeit verweisen. Danach tragen Unternehmen immer auch eine Mitverantwortung für die Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Zusammenarbeit.

Beim Thema „gesellschaftspolitische Positionierung“ geht es für Unternehmen also nicht nur um Risiken für den kurzfristigen Erfolg. Es geht ebenso um Risiken für die Bedingungen des langfristigen Erfolgs.

Worauf es ankommt: Haltung mit Selbstbegrenzung

Wie sollten Unternehmen mit diesem Spannungsfeld umgehen? Unsere Umfrageergebnisse legen nahe, dass es aus Sicht der Bürger*innen bei der unternehmerischen Positionierung zu gesellschaftlichen Debatten weniger um das „Ob“, sondern vielmehr um das „Wie“ geht. Mit Blick auf die ambivalenten Risiken unternehmerischer (Zurück-)Haltung schlagen wir aus ethischer Perspektive drei konkrete Orientierungen im Sinne von Selbstbegrenzungen vor:

  • Stärkung des gemeinsamen Spielverständnisses statt Kritik einzelner Spieler
    Unternehmen können ihren inneren und äußeren Kooperationspartnern keine Gesinnung vorschreiben. Entsprechend sollten sie sich mit moralischen Urteilen im Hinblick auf Personen und Organisationen zurückhalten. Das darf sie indes nicht davon abhalten, sich offensiv zu den gemeinsamen Werten unserer gesellschaftlichen Zusammenarbeit (und ihres wirtschaftlichen Erfolgs) zu bekennen. Von Unternehmen sollte also nicht generell erwartet werden, dass sie sich konkret gegen einzelne nationalistische oder fremdenfeindliche Akteure wenden, wie sie gerade auch im Umfeld der Verschwörungsmythen anzutreffen sind. Es ist indes klug, wenn sie mit Bekenntnissen zur Demokratie, Vielfalt und Rechtstaatlichkeit ihrerseits deutlich erkennen lassen, wofür sie stehen – und wofür nicht.
  • Gute Gründe auch ohne, aber niemals gegen gesicherte Fakten
    Anders als mathematische Sätze sind moralische Standpunkte und Urteile nicht objektiv beweisbar. Die eigene Position lässt sich aber durch Angabe guter Gründe vertreten und verteidigen. Positionen zu heiklen Themen sollten von Unternehmen also transparent und nachvollziehbar begründet werden. Auch dafür gelten Regeln. Zwar können und dürfen in freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaften individuelle Überzeugungen, Interessen und Urteile teilweise erheblich voneinander abweichen. Dieses „Faktum des Pluralismus“ (John Rawls), das gleichermaßen Voraussetzung wie auch Ergebnis von Demokratien und Märkten ist, setzt indes einen vernünftigen Gebrauch der Meinungsfreiheit voraus. Dies verlangt insbesondere, sich der (manchmal unangenehmen) Wirklichkeit zu stellen und Tatsachen anzuerkennen. Weder das Corona-Virus noch der Klimawandel sind Anschauungssache. Und dasselbe gilt für das Leid, das menschenverachtende Ideologien erzeugen.

 

  • Respektvolle Reaktion statt radikaler Gegenwehr
    Zugleich stellen heikle Themen wie Verschwörungsmythen den Vernunftgebrauch auf eine harte Probe. Denn oft appellieren manche Protagonisten gerade nicht an den Verstand. Stattdessen bedienen sie solche Emotionen, die andere Sichtweisen nicht nur kritisieren (das wäre legitim), sondern stattdessen jene Sichtweisen und ihre Absender delegitimieren. Solche offensiven Angriffe sind mitunter schwer zu ertragen und verleiten schnell zur kommunikativen Gegen-Eskalation („Covidioten“). Wer sich darauf einlässt, beschädigt aber mitunter selbst jene Werte, die er/sie vorgibt zu verteidigen – und riskiert einerseits, die Unterstützung in den eigenen Reihen zu verlieren, und andererseits eine Verschlechterung des gesamten Diskursklimas. Umso wichtiger ist es, in der Reaktion zwischen Botschaft und Adressat zu unterscheiden: Positionen, die weder durch Fakten noch durch prüfbare Gründe gestützt sind, müssen klar und deutlich zurückgewiesen werden. Ungeachtet dessen haben ihre Absender Würde. Deren Anerkennung ist laut Grundgesetz die zwingende Voraussetzung unseres gesellschaftlichen Miteinanders.

In Anlehnung an das bekannte Zitat von Paul Watzlawick lässt sich festhalten: Unternehmen können nicht „nicht“ Haltung zeigen. Zurückhaltung ist eben auch eine Haltung. Und ein Nichteinschreiten gegen Verschwörungsmythen – ob im betrieblichen oder im öffentlichen Kontext – kann (ungewollt) als stillschweigende Duldung interpretiert werden. Umso wichtiger ist es, das Unternehmen sich selbst klare Orientierungen geben. Nicht nur Im Interesse der Gesellschaft, sondern auch im wohlverstandenen Eigeninteresse, die eigene ‚license to operate‘ zu stärken.