Build back better: Welche Führung braucht Veränderung?

Martin von Broock, Andreas Suchanek

Die Personaldebatten der letzten Wochen spiegeln zwei unterschiedliche Überzeugungen wider: Veränderung braucht Führung, sagen die einen. Und meinen „Konfliktkompetenz“. Führung braucht Veränderung, sagen die anderen. Und meinen „Kooperationsfähigkeit“. Tatsächlich benötigen wir für die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen solche Entscheider*innen, die beides vereinen. Ausschlaggebend für nachhaltige Transformationen ist aber eine dritte Kompetenz.

Die Erwartungen an eine bessere Rückkehr aus der Krise sind vielfältig: eine faire Lastenverteilung, effektiverer Klimaschutz, nachhaltigeres Wirtschaften, mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Es geht um grundsätzliche Richtungsentscheidungen, die Führung brauchen.

Diskussionen über gute Führung leiden indes unter folgender Diskrepanz: Geht es um ihre allgemeinen Prämissen, werden vor allem abstrakte Werte und positive Eigenschaften betont. Geht es um die Praxis guter Führung, richtet sich der Blick auf das Management konkreter Konflikte. Und vor allem auf Ergebnisse, denn: „Leadership is all about getting results“ (Peter Drucker).

Diese Einschätzung hat sich auch in den Personaldiskussionen der letzten Wochen widergespiegelt. So stand etwa wiederholt die Frage im Raum: Mit wem lässt sich das beste Wahlergebnis erzielen? Auch in der Wirtschaft, in NGOs, der Wissenschaft oder im Sport sind Personalfragen immer mit Ergebnisorientierungen verknüpft. Wer bringt die besten KPIs? Wer mobilisiert die meisten Menschen? Wer publiziert mit der größten Reichweite? Wer fährt die meisten Siege ein?

Die Fokussierung hat einen einfachen Grund: Ergebnisse sind objektivier- und greifbar. Haltungen und Kompetenzen sind es allenfalls bedingt. Differenziert man dann noch zwischen fachlichen und ethischen Qualitäten, wird es schnell „fuzzy“. Es ist allerdings riskant, den Zusammenhang zwischen ethischen Kompetenzen und guten Ergebnissen auszublenden. Denn opportunistische „Spielführer*innen“ mögen vielleicht einzelne Matches gewinnen. Auf Dauer können sie aber die ganze Mannschaft, manchmal sogar das komplette Spielfeld beschädigen. Für eine nachhaltig ergebnisorientierte Führung sind daher drei ethische Kompetenzen ausschlaggebend: Konfliktfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, vor allem aber die Fähigkeit, andere zu Investitionen zu inspirieren.

(1) Konfliktfähigkeit: Positionen (aus-)halten

Bereits der Weg zur Führungsposition beginnt mit einem Konflikt: dem Wettbewerb. Für Spitzenpositionen gibt es meist mehrere geeignete Aspiranten. Durchsetzen kann sich aber letztlich nur eine*r. Und unabhängig davon, ob andere zur Seite, nach hinten oder gleich ganz abtreten: Unmittelbar ist der einen Sieg des Anderen Niederlage. Auch jenseits von Nominierungen müssen sich Führende permanent Wettbewerben aussetzen; etwa in Verhandlungen oder beim Vergleich erzielter Ergebnisse. Ständig geht es um richtige Entscheidungen unter ungewissen Bedingungen, konkurrierenden Interessen und Einschätzungen. In diesem Umfeld verlangt Konfliktfähigkeit (1) die Einsicht, dass Wettbewerb grundsätzlich Bedingung und Folge freier Gesellschaften ist. Und gerade von Entscheider*innen wird verlangt, in Konflikten Richtung zu vermitteln, Positionen zu beziehen und diese zu verteidigen. Dabei können sie die Härte der Auseinandersetzung nur bedingt selbst bestimmen. Konfliktfähigkeit setzt (2) die Erkenntnis voraus, dass die Art und Weise, wie Konflikte bewältigt werden, die Bedingungen künftiger Konflikte beeinflusst. Foulspiel mag kurzfristig gute Ergebnisse bringen, schränkt aber die künftigen Ergebnisräume mitunter erheblich ein. Damit sollte (3) die Einsicht einhergehen, dass es in jedem Konflikt neben Erfolg (Win) oder Niederlage (Lose) aus der eigenen Perspektive stets auch gemeinsame Interessen gibt (Realisierung von Win-Win und Vermeidung von Lose-Lose). Wenn Konflikte überhaupt nicht oder nur zu sehr hohen Kosten gelöst werden, stellen sich meist alle schlechter. Und da negative Ergebnisse zuvorderst schlechter Führung zugerechnet werden, sollten Entscheider*innen besonderes Interesse an funktionsfähigen Konfliktlösungsmechanismen haben.

(2) Kooperationsfähigkeit: Regeln stärken

Dies setzt Kooperationsbereitschaft voraus. Dass Führung Kooperationen braucht, ist trivial. Notwendig ist Kooperationsbereitschaft aber nicht allein im Spielfeld, sondern vor allem für das Spielfeld. Heißt: Einen ergebnisorientierten Wettstreit können Führende überhaupt nur dann austragen, wenn sie im Hinblick auf dessen Spielregeln kooperieren. Kein Sieg ohne Niederlage – wer mitspielen will, muss auch mal verlieren können. Das gilt nicht nur im Sport, sondern gerade in Politik und Wirtschaft, die auf dauerhafte Kooperationen angelegt sind. Dafür ist die Anerkennung gemeinsamer Regeln zwingende Voraussetzung.

Die letzten Wochen haben gezeigt: Fehlt zwischen Führungskonkurrenten eine Übereinkunft mit Blick auf Verfahren, Sieg und Niederlage, stellen sich am Ende mitunter beide schlechter (Lose-Lose). Kurzfristig zeigen dies die Veränderungen in den Umfrageergebnissen. Welche längerfristigen Schäden der destruktive Wettbewerb in den Unionsparteien auf ihre Institutionen, den inneren Zusammenhalt und auf das Vertrauen in demokratischen Wettstreit insgesamt entfaltet, ist noch unklar. In jedem Fall unterstreicht die Entwicklung: Mit der Art und Weise, wie Führende Konflikte austragen, beeinflussen sie ihre künftigen Handlungsspielräume. Und gerade, wenn es um größere und tiefgreifende Veränderungen geht, wie sie gegenwärtig durch die Pandemie und darüber hinaus anstehen, kommt es auf jene Handlungsspielräume an. Wer diese Veränderungen zu guten Ergebnissen führen will, braucht vor allem eine Kompetenz.

(3) Worauf es ankommt: „Inspire People to invest“

Gute Führung zeichnet sich letztlich dadurch aus, dass sie andere zu „Investitionen“ in gemeinsame Ziele und Kooperationen inspiriert. Tiefgreifende Veränderungen gelingen nur dann, wenn viele Menschen aus freiem Willen, auch ohne unmittelbare Zwangsmittel, die mit der Veränderung einhergehenden Zumutungen auf sich nehmen. Das heißt: Für Veränderungen muss Führung Menschen dazu inspirieren, bestehende Freiheiten entweder freiwillig anders wahrzunehmen oder einer Neuordnung jener Freiheiten freiwillig zuzustimmen. Für beide Wege brauchen Entscheider*innen Mehrheiten, die sich in freiheitlichen Gesellschaften eben nicht erzwingen lassen. Je tiefgreifender Veränderungen, umso breitere Bündnisse sind notwendig. Daraus folgt: Wer Veränderungen erfolgreich ein- und anführen will, muss vor allem auch Menschen jenseits des „eigenen Lagers“ gewinnen können. Das verlangt die Fähigkeit, gewachsene – und mitunter über lange Zeit kultivierte – Konfrontationslinien zu überwinden. Die wichtigste Investition, die Entscheider*innen dafür selbst aufbringen müssen, ist Respekt. Denn wer andere für freiwillige Beiträge gewinnen will, muss ihnen zuvorderst Wertschätzung entgegenbringen

Die Bedeutung von „Inspire to invest“ hat die Corona-Krise eindrücklich gezeigt. „Es kommt auf jede*n Einzelne*n an“ lautete die wiederkehrende Botschaft der Bundeskanzlerin. Die weitreichenden Eingriffe waren nur mit einer breiten, interessenübergreifenden Allianz möglich. Und der stetigem (Investitions-)Bereitschaft einer großen Mehrheit der Menschen, freiwillig Einschränkungen zu folgen, Zumutungen zu akzeptieren und auf die Ausschöpfung aller möglichen Mittel zu verzichten. Würden die Menschen indes die Überzeugung verlieren, dass sich ihre Anstrengungen tatsächlich lohnen und respektiert werden, dürfte die Führung in und aus der Krise äußerst schwierig werden.

Die Herausforderungen neben und nach der Pandemie, allen voran die Klimakrise und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts – erfordern vergleichbare gemeinsame Anstrengungen. Dafür brauchen wir Entscheider*innen, die Menschen in Parteien, Unternehmen, Organisationen und darüber hinaus zu jenen Anstrengungen inspirieren. Konfliktfähigkeit und Kooperationsbereitschaft sind dafür notwendige Kompetenzen. Respekt ist die entscheidende. Denn die Art und Weise, wie ein Resultat erzielt wurde, bestimmt maßgeblich mit, welche Resultate künftig möglich sein werden.