Martin von Broock, Philipp Schreck
Unternehmerisches Lobbying spaltet: Die einen verteidigen es als rechtmäßige Interessenvertretung. Andere kritisieren es als inakzeptable Machtausübung. Dabei ist es wenig hilfreich, Rechtmäßigkeit und Akzeptanz gegeneinander in Stellung zu bringen. Gute Lobbypraxis braucht beides. Über das neue Lobbygesetz hinaus stellt sich deshalb die Frage: Welche Bedingungen beeinflussen die Akzeptanz rechtmäßiger Interessenvertretung? Wir zeigen auf, warum und wie Unternehmen investieren sollten.
Natürlich sollte die Akzeptanz von Lobbying nicht allein Unternehmen und Verbände beschäftigen. Auch zivilgesellschaftliche Akteure sind in ihrer Interessenvertretung auf Zustimmung angewiesen. Im Lichte zunehmender Krisen gerät aber vor allem die Wirtschaft unter Druck: „More than ever, business is expected to be an ethical participant in society” – so das Fazit des zum Weltwirtschaftsforum aktualisierten Edelman Trust Barometer. Gerade von Unternehmen und ihren Führungen erwarten die Menschen mehr politisches Engagement bei gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimaschutz, sozialem Zusammenhalt und geopolitischen Konflikten. Zugleich geht das Vertrauen in marktwirtschaftliche Systeme weltweit zurück, wie verschiedene Studien zeigen.
ESG als Treiber der Lobby-Debatte
Unternehmen sehen sich beim Lobbying also folgender Herausforderung gegenüber: Einerseits wird mehr unternehmerische Mitwirkung in der Transformation gefordert. Andererseits erfährt die Legitimationsbasis für jene Mitwirkung immer weniger Zustimmung. In diesem Spannungsfeld können Unternehmen nur dann erfolgreich agieren, wenn sie ihre politische Interessenvertretung verantwortlich gestalten. Und andere diese Verantwortung auch nachvollziehen können.
Mehr Nachvollziehbarkeit in der Lobbypraxis wird nicht nur von NGOs eingefordert. Sie wird auch durch ESG-Ratings vorangetrieben. Dass dabei ökologische Performance allein nicht ausreicht, zeigt der Fall Tesla: Gerade wurde der Pionier für Elektromobilität aus dem S&P 500 ESG Index gestrichen – offenbar wegen ungenügender S- und G-Ratings. Und beim Faktor „Governance“ verstärken sich die Forderungen nach mehr Lobby-Transparenz. Kürzlich hat eine Gruppe von Investoren den VW-Konzern vor seiner Hauptversammlung aufgefordert, die Einflussnahme auf Regulierung zum Klimaschutz transparenter zu machen. Immer mehr Investoren hinterfragen: Treiben Unternehmen mit ihrem Lobbying den öffentlich bekundeten nachhaltigen Wandel voran? Oder hintertreiben sie nicht-öffentlich notwendige strukturelle Veränderungen – und verstärken damit gesellschaftliche Risiken? Unternehmen sollten sich dieser Debatte auf zwei Ebenen stellen.
Rechtmäßigkeit sichern: Notwendig, aber nicht hinreichend
Lobbying braucht klare Spielregeln. Mit der strafrechtlichen Verschärfung von Bestechung und Bestechlichkeit (2014), der Vorschrift zur Veröffentlichung von Lobby-Stellungnahmen in Gesetzgebungsverfahren (2018) und der Einführung des Lobbyregisters zu Jahresbeginn wurde der Rechtsrahmen für politische Interessenvertretung in den zurückliegenden Jahren immer weiter konkretisiert. Innerhalb dieses Spielfelds können und sollen (!) Unternehmen sowie Organisationen ihre Positionen frei vertreten. Das schließt dezidiert auch kontroverse Standpunkte jenseits bestehender Mehrheiten ein. Bildlich übersetzt: Die Rechtmäßigkeit von Lobbying macht sich nicht an der „Gefälligkeit“ individueller Spielzüge, sondern an der Einhaltung gemeinsamer Spielregeln fest. Umso wichtiger sind auch gemeinsame Initiativen von Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur Fortentwicklung jener Regeln, wie die Allianz für Lobbytransparenz.
Dennoch ist es gerade für Unternehmen riskant, Lobbyingaktivitäten allein mit dem Argument der Rechtmäßigkeit zu begründen. Denn erstens wird – wie erwähnt – zunehmend das gesamte Spielfeld hinterfragt. Wer nur defensiv auf Regelkonformität spielt, hat wenig anzubieten für die progressiv geforderte Neuausrichtung des Wirtschaftssystems. Noch wichtiger ist zweitens aber der Befund zahlreicher Studien. Danach stellen die Menschen gerade nicht grundsätzlich die Rechtmäßigkeit von Lobbying in Frage. Stattdessen halten sie unternehmerische Sachkompetenz in Gesetzgebungsprozessen prinzipiell sogar für notwendig. Sie zweifeln aber daran, dass Unternehmen die durch Regeln eröffneten Lobby-Spielräume in der Praxis verantwortungsvoll nutzen.
Die Lobby-Kritik macht sich also nicht am „ob“, sondern am „wie“ fest. Und dieses „Wie“ lässt sich nur begrenzt über Recht und Gesetz verordnen. Das „Wie“ beeinflusst aber entscheidend die Dynamik der Rechtssetzung: Wo Verantwortung innerhalb geltender Regeln nicht nachvollziehbar wahrgenommen wird, sind Forderungen nach Regelverschärfungen die logische Folge. Über die Rechtmäßigkeit von Lobbying hinaus stellt sich also immer auch die Frage: Welche Bedingungen fördern die Akzeptanz für – prinzipiell erwünschte – politische Interessenvertretung durch Unternehmen?
In Akzeptanz investieren: Drei Orientierungen
Gemeinsam mit Unternehmen und Organisationen arbeiten wir am WZGE in verschiedenen Projekten zum Thema verantwortliche Interessenvertretung. Gerade haben wir ein Evaluationsprojekt zur Lobbypraxis eines führenden Konzerns abgeschlossen. Außerdem sind wir in einer experimentellen Studie den Akzeptanzbedingungen von unternehmerischem Lobbying nachgegangen. Aus den Ergebnissen leiten wir drei konkrete Ansatzpunkte guter Lobbying-Praxis ab:
(1) Dualismen entgegenwirken
Forderungen nach mehr Gemeinwohlorientierung im Lobbying kontern Unternehmen oft reflexartig mit dem Verweis auf legitime Eigeninteressen. Tatsächlich sind solche Reaktionen – wie auch die vorausgehenden Forderungen – eher kontraproduktiv. Denn: Sie unterstützen ein ethisch problematisches und realitätsfernes Verständnis von Wirtschaft, demgemäß sich Unternehmen für Eigeninteresse oder Gemeinwohl entscheiden müssen. In der logischen Folge müssten Unternehmen dann entweder gegen eigene oder gegen gemeinschaftliche Interessen lobbyieren. In beiden Fällen hätten sie ein Legitimationsproblem. Für mehr Akzeptanz politischer Interessenvertretung braucht es daher einen Perspektivwechsel. Verantwortliches Lobbying folgt der Prämisse: Wie fördern Unternehmen mit ihrer Interessenvertretung das Gemeinwohl? Oder anders formuliert: Wie lassen sich möglichst große Schnittmengen erzielen? Ausgangspunkt sind dann gemeinsame Ziele, die überhaupt erst einen konstruktiven Streit über unterschiedliche Mittel und Zielkonflikte ermöglichen.
(2) Konsistenz sichern
Für die Akzeptanz unternehmerischen Lobbyings ist die vertretene Position von hoher Relevanz, allein aber nicht entscheidend. Denn entgegengesetzt zur inneren, arbeitsteiligen Logik von Unternehmen erfassen und bewerten die Menschen deren Handeln von außen ganzheitlich. Das heißt: Als glaubwürdig wird Lobbying dann erfahren, wenn die vertretenen Positionen im Einklang mit öffentlich bekundeten Haltungen und faktischen Entscheidungen eines Unternehmens stehen. Akzeptanzsicherung für politische Interessenvertretung muss also im Unternehmen selbst ansetzen: Inkonsistenzen zwischen Lobby-Positionen, den Botschaften der Kommunikation und konkreten Handlungen im Tagesgeschäft müssen frühzeitig identifiziert und geklärt oder erklärt werden. Das setzt vor allem eine Unternehmenskultur voraus, in der die unterschiedlichen Disziplinen im Sinne der Konsistenz respektvoll zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen.
(3) Moderne Governance forcieren
Die Mindestanforderung für eine akzeptable Lobbypraxis ist, dass unternehmerische Positionen überhaupt bekannt sind. Denn ohne nachvollziehbare Positionen fehlt jegliche Beurteilungsgrundlage. Politische Interessenvertretung sollte deshalb in eine moderne Governance eingebettet sein, die Prozesse zur Gewährleistung von Nachvollziehbarkeit definiert. Die wichtigsten Kriterien für eine solche moderne Governance sind (1) Transparenz durch quantifizierbare Indikatoren, (2) Evidenzsicherung der Argumentation sowie (3) die Zurechenbarkeit von Verantwortung für vertretene Positionen; nicht nur im Kontext des eigenen Unternehmens, sondern auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Verbänden und beauftragten Partnern. Diese Punkte gehen über derzeit geltende Regelungen hinaus. Sie markieren aber den Unterschied zwischen „Lobbying nach Vorschrift“ und akzeptanzfördernder Interessenvertretung.
Fazit
Mit ihren Kompetenzen und Interessen spielen Unternehmen ebenso wie andere Organisationen eine wichtige Rolle in politischen Entscheidungsprozessen. Ihre „license to sit at the table“ ist dabei an verbindliche Spielregeln geknüpft. Sie wird aber nicht allein durch jene Spielregeln garantiert. Verantwortungsvolle Lobbyisten vertreten deshalb nicht nur kurzfristige eigene Interessen. Sie investieren stets auch in die gemeinsamen Bedingungen langfristiger Interessenvertretung. Gerade dann, wenn Krisen das generelle Vertrauen ins Spielfeld erschüttern.
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