Martin von Broock, Andreas Suchanek
Die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen sind ein Stresstest für die freiheitliche Demokratie. Denn das Grundgesetz fördert nicht nur politischen Wettstreit. Es setzt gleichzeitig das Zustandekommen regierungsfähiger Koalitionen voraus. Zusammenarbeit lässt sich aber nicht verordnen. Wovon die Zukunft der Demokratie abhängt.
Auch wenn Parteispitzen in Sachsen und Thüringen nach den Landtagswahlen die Eigenständigkeit ihrer Länder betonen – die Entwicklungen dort werden richtungsweisend für Gesamtdeutschland. Dabei liegt die Latte hoch. Nachweislich erwarten Bürgerinnen und Bürger von der Politik rasche Lösungen bei drängenden Themen. Faktisch braucht die Wirtschaft dringend verlässliche Impulse für Wettbewerbsfähigkeit und Fortschritt. Viele Stimmen mahnen zu Recht: Extremismus lässt sich am besten durch überzeugende Problemlösungen zurückdrängen.
Das ist leichter gesagt als getan. Denn die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen schreiben einen Trend fort: „Ein“ klarer Wählerwille ist kaum noch auszumachen. Die Regierungsbildung im demokratischen Spektrum wird komplizierter. Arbeitsfähige Mehrheiten erfordern deshalb neue Bündnisse über alte Gräben hinweg. Worauf es dabei ankommen wird:
Natürlich müssen Koalitionspartner zuvorderst inhaltliche Schnittmengen verhandeln. Ein Vertrag als Kooperationsgrundlage garantiert allein aber noch keine erfolgreiche Zusammenarbeit. Denn jeder Partner strebt selbstverständlich danach, die Interessen der eigenen Klientel möglichst umfassend durchzusetzen. Das funktioniert in einer Koalition aber nur, solange ein Mindestmaß an Respekt vor Abmachungen, Regeln und vor allem im Umgang miteinander besteht. Deshalb müssen Koalitionspartner auch in Kooperationsfähigkeit investieren.
Das Beispiel Ampel zeigt: Je mehr die Kooperationsfähigkeit verloren geht, umso weniger ist die Regierung handlungsfähig. Die Erklärung dafür liefert die Spieltheorie: Dominieren Misstrauen oder Missgunst, siegt die „präventive Abwehr“. Das heißt: Partner blockieren sich gegenseitig, wenn sie Erfolge der anderen zu eigenen Lasten fürchten.
Das Problem: Kurzfristig mag das der eigenen Mannschaft taktische Vorteile bringen. Allerdings zu hohen langfristigen Kosten für alle. Denn: Anhaltender Stillstand führt dazu, dass immer mehr Menschen ihr Vertrauen in den demokratischen Wettstreit verlieren – und damit das gesamte Spielfeld in Frage stellen.
Insofern sind Sachsen und Thüringen Reallabore für die von allen Seiten angemahnten politischen Lösungen:
- Gelingt es neuen Regierungsbündnissen tatsächlich, (1) tragfähige Kompromisse im Rahmen des Grundgesetzes zu schmieden und diese dann (2) auch mit vereinten Kräften in ihre unterschiedlichen Wählergruppen als gemeinsame Erfolge zu vermitteln, könnte damit Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden. Angesichts der Vielfalt gegensätzlicher Positionen verlangt dies den potenziellen Partnern allerdings Vieles ab.
- Entwickelt sich dagegen auch in neuen Regierungsbündnissen die „gegenseitige Abwehr“ zur dominanten Strategie, verlieren alle demokratischen Akteure. Denn von weiterem Stillstand und der Fortsetzung des „Blame Games“ würden vor allem jene profitieren, die schon heute für Alternativen zur freiheitlich demokratischen Grundordnung eintreten – und nur auf ihre Gelegenheit zum „Durchregieren“ warten. Bereits jetzt wird deutlich, wie grundgesetzlich verankerte „Checks and Balances“ mit Sperrminoritäten in Konflikt geraten.
Demokratie braucht zweifellos den Wettstreit der Parteien: um Argumente, Programme und Strategien. Gleichzeitig sollten sich alle Parteien im demokratischen Spektrum – wie auch die Wählenden – darüber im Klaren sein: Im Wettstreit kann man nur gewinnen, solange es ein gemeinsames Spielfeld gibt. Dafür ist das Grundgesetz die Voraussetzung. Ohne hinreichende Kooperationsfähigkeit der demokratischen Kräfte kann es nicht überleben.
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